Manchmal kommt sie langsam und fast unbemerkt und manchmal dauert es nur Bruchteile von Sekunden und sie ist da … die Krise.

Alles bekommt eine andere Bedeutung, die Perspektiven verschieben sich, nichts ist mehr wie zuvor.

Angst schnürt die Kehle zu, Gedanken kreisen um die gleichen Punkte, Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Trauer und Entsetzen lösen ein einander ab.

Und wenn das erste Erschrecken vorbei ist, hört die Erschütterung noch lange nicht auf.

Nie werde ich vergessen, wie ich fassungslos durch die Krankenhausgänge ging und die Menschen beobachtete, die genau wie ich die Gänge entlanggingen. Von außen betrachtet sah alles aus wie immer. Nur für mich hatte sich die Welt total verändert. Meine Tochter, ein extremes Frühchen, lag auf der Neonatologie und kämpfte um ihr Leben. Und ich konnte nicht begreifen, dass das Leben draußen einfach so weiterging. Zwei Wirklichkeiten, die für mich nicht zusammen passten. Ich kam mir vor wie ein Zombie in einer falschen Welt.

Ich habe viel gelernt in dieser Zeit. Wie schwer es für Menschen ist, mit Krisensituationen umzugehen. Wie hilflos sich Angehörige, Kollegen oder auch Freunde verhalten. Und wie wichtig die richtige Unterstützung gerade in dieser Zeit ist.

Ich habe danach viele Menschen in Krisensituationen begleitet und die wichtigsten Maßnahmen, um die Krise bewältigen zu können und sich wieder zu stabilisieren, sind aus meiner Sicht:

  1. Nehmen Sie die Situation an. Das ist der wichtigste und schwierigste Rat. Wahrscheinlich brauchen Sie Zeit und Unterstützung dazu. Aber erst wenn Sie die Situation genauso annehmen wie sie derzeit erscheint, dann können Sie sie auch verarbeiten bzw. mit ihr umgehen. Suchen Sie Menschen, die das Gleiche oder Vergleichbares erlebt haben. Holen Sie sich alle Informationen, die Sie brauchen. Seien Sie hartnäckig und lassen Sie sich nicht abwimmeln. Wieviel Information Sie brauchen, können Sie nur selbst entscheiden. Manche brauchen mehr, für manche ist weniger wichtig. Aber das zu bestimmen liegt an Ihnen. Wenn Sie in der Zeit nicht die Kraft haben, das selbst durchzusetzen, nehmen Sie sich Unterstützung mit, damit Sie die Informationen bekommen, die Sie brauchen. Und machen Sie sich sachkundig, ob es Selbsthilfegruppen gibt. In schwierigen Situationen nicht allein zu sein, ist existentiell.

 

  1. Sorgen Sie gut für sich. Wenn das Leben sich von seiner schwierigen Seite zeigt, tendieren die meisten Menschen dazu, sich zurückzuziehen und sich keine Freude mehr zu bereiten oder gar zu gestatten. Es ist so wichtig, dass Sie genau das Gegenteil tun. Gehen Sie zum Friseur, machen Sie Sport, gönnen Sie sich eine Massage, ziehen Sie sich gut an, gehen Sie ins Kino… was auch immer Ihnen Freude macht (oder bisher gemacht hat). Erst wenn Sie wirklich gut für sich gesorgt haben, können Sie auch gut für andere – die sie vielleicht jetzt brauchen – sorgen.

 

  1. Wenn es irgendwie möglich ist, arbeiten Sie weiter. Arbeit gibt Ihnen eine Struktur vor und eine Stabilisierung. Außerdem müssen Sie sich zwangsläufig mit anderen Dingen befassen. Krankschreibung, auch wenn Sie Ihnen noch so angebracht erscheint, ist oft nicht hilfreich. Selbst wenn Sie nicht das Gefühl haben, leistungsfähig zu sein, allein dass Sie Teil eines Prozesses sind, in dem Normalität herrscht, hilft bei der Bewältigung der krisenhaften Situation

 

  1. Gehen Sie raus in die Natur. Gehen Sie in einen Wald, an einen See und nehmen Sie bewusst wahr, was Sie dort vorfinden.
    Am einfachsten geht es mit dieser Übung:
    Achten Sie auf 3 Dinge, die Sie sehen, 3 Dinge, die Sie hören, 3 Dinge, die sie fühlen. Das hilft Ihnen aus dem Gedankenkarussell auszusteigen.
    Darüber hinaus boostet ein Waldspaziergang ihr Immunsystem. Wissenschaftliche Untersuchungen haben bewiesen, dass durch 1 h Waldspaziergang unser Immunsystem um 30% gesteigert wird. Gehen Sie an zwei aufeinander folgenden Tagen im Wald spazieren gehen, verbessert sich das Immunsystem sogar um 50%.

 

  1. Holen Sie sich professionelle Hilfe. Ich habe oft erlebt, wie hilflos oder vielleicht sogar ungeschickt Freunde, Kollegen oder auch Verwandte auf Krisensituationen reagieren. Menschen halten Abstand, weil sie nichts falsch machen möchten und nicht gelernt haben mit Schmerz, Trauer oder Verlust umzugehen. Einfach nur dabei sein und das mittragen, was grade da ist, fällt den allermeisten Menschen sehr schwer.

Deshalb mein Rat: Kaufen Sie sich für eine Übergangszeit eine professionelle Begleitung ein, die Sie in dieser Zeit unterstützt. Ich denke oft an eine Klientin, die mit den Worten zu mir kam: „meine Freunde können mein Weinen nicht mehr ertragen“ und das hat sie neben dem Schicksalsschlag den sie erlitten hatte, noch zusätzlich belastet. Meist reichen 8 bis 10 Gespräche aus, um Sie soweit zu stabilisieren, dass Sie den Rest des Weges alleine gehen können.

Oft wird gesagt, dass in jeder Krise auch immer eine Chance steckt oder dass Chance die andere Bedeutung von Krise ist. Das jemandem zu sagen, der grade in der Krise ist, fühlt sich aus meiner Sicht eher wie eine Ohrfeige an. Da ist der Mensch zu dem Zeitpunkt einfach nicht.

Wovon ich aber überzeugt bin und was ich aus meiner Krisenzeit gelernt habe, ist das: nie können Sie mehr über sich und die Welt und Ihre Freunde lernen als in Zeiten der Krise.

Und übrigens: unsere Tochter ist jetzt 20 und beginnt zu studieren.